Beim Länderspiel gegen England wurde Adolf Katzenmeier in Berlin offiziell verabschiedet. Nach 45 Dienstjahren beim Deutschen Fußball-Bund,
davon 34 Jahre als Physiotherapeut der Nationalmannschaft. DFB-Redakteur Wolfgang Tobien zeichnet das Porträt eines filigranen Handarbeiters, der den Stars und Superstars des deutschen Fußballs so nah wie kaum ein anderer war.
S ylvia Katzenmeier hatte sich apart herausgeputzt mit ihrem schwarzen Seidenrock und dem lindgrünen Oberteil. Und auch ihr Mann war im dunk - len Anzug mit eleganter Fliege piekfein ausstaffiert für den Anlass, den er im Rückblick als „den erhebendsten Moment meines Berufslebens“ bezeichnet. Auf der alljährlichen Gala zu Saisonbeginn in Monte Carlo war Adolf Katzenmeier mit dem „Magnificent Seven Award“ der UEFA ausgezeichnet worden. Mit diesem Preis der „Glorreichen Sieben“ ehrt die Europäische Fußball-Union alljährlich sieben Menschen, die sich abseits des Rampenlichts hinter den Kulissen um den Fußball verdient gemacht haben. „Für Sie, Herr Katzenmeier, freut mich diese Auszeichnung ganz besonders“, sagte Lennart Johansson, der damalige UEFA-Präsident, als er dem Physiotherapeuten der deutschen Nationalmannschaft den Preis in die Hand drückte.
Vor acht Jahren war das, im August 2000. Und während in den folgenden Minuten Superstars wie Oliver Kahn als bester Torwart oder Raúl als überragender Stürmer ausgezeichnet wurden, betrachteten viele die Ehrung für den dienstältesten Mitarbeiter im Betreu
erstab der DFB-Auswahl zugleich als Preis für dessen Lebenswerk. Das freilich war zu jenem Zeitpunkt für den damals 65-Jährigen längst noch nicht vollendet. Beim Länderspiel gegen England wurde Adolf Katzenmeier nach 45 Jahren in DFB-Diensten als Masseur der deutschen Nationalmannschaft verabschiedet.
So glamourös das Ambiente beim persönlichen Gipfelpunkt seiner Karriere damals vor acht Jahren an der Cote d´Azur gewesen war, so emotional und wuchtig und ihn selbst überwältigend war jetzt der Rahmen im mit knapp 75.000 Zuschauern ausverkauften Berliner Olympiastadion bei der Verabschiedung für den schmächtigen Mann mit der besonderen Fingerfertigkeit. Vor dem Anpfiff des Klassikers gegen England hat DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach den verdienstvollen „Adi“ aus dem Kreis der besten deutschen Fußballspieler mit einem wertvollen Geschenk entlassen, ehe nach dem Ab pfiff das interne Lebewohl mit der Mannschaft anstand.
„Adi, erzähl´ mal“, haben die Nationalspieler den nunmehr 74-Jährigen einmal mehr aufgefordert, seine schönsten Episoden und Anekdoten aus 34 Jahren bei der A-Nationalmannschaft zum Besten zu geben. Dann erzählte Adolf Katzenmeier das, was er schon so oft geschildert hat. Wie er damals, 1963, von Sepp Herberger zum DFB geholt wurde und danach die Junioren-Teams, die Amateur- und Olympia-Auswahl, die seinerzeit noch existente B-Nationalmannschaft und aushilfsweise auch das A-Team betreut und dabei einen ersten und bis heute nicht abgebrochenen Kontakt zu fast allen großen Spielern des deutschen Fußballs bekommen hat. Und er erinnerte daran, dass es Franz Beckenbauer gewesen war, der unmittelbar vor der WM 1974 den Dringlichkeitsantrag gestellt hatte, dass Katzenmeier als zweiter Masseur neben Erich Deuser der Mannschaft zur Verfügung gestellt werden müsse.
Adolf Katzenmeier ist so etwas wie das wandelnde Lexikon der deutschen Nationalmannschaft. Darin steht die Geschichte von seinem schwierigsten Fall, als er Guido Buchwald bei der EURO 1992 das Leben rettete, nachdem dieser bei einem heftigen Zusammenprall mit einem schottischen Gegenspieler „wie ein Wackelpudding zu Boden gestürzt war und dabei seine Zunge verschluckt hatte“. Erwähnt sind die sieben Weltmeisterschaften und acht EM-Endrunden, an denen er teilgenommen hat, und beschrieben wird, wie er Beckenbauer und Vogts, Völler und Klinsmann erst als Spieler und danach als Bundestrainer oder Teamchef erlebt hat. Und aufgezeichnet ist, wie der gebürtige Frankfurter mit 20 Jahren nach einer ersten beruflichen Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter – inspiriert von seinem Vater, einem Heilpraktiker und Masseur – sich ausbilden ließ zum „staatlich geprüften Masseur und Fußpfleger“ und wie er seine eigene Praxis erst in der Nähe der Pferderennbahn im Frankfurter Stadtteil Niederrad und von 1997 an in der DFBZentrale neben dem Waldstadion aufgebaut hat.
Adi könnte viele interessante Erlebnisse unterhaltsam ausbreiten. Doch das, was er verbal hin und wieder von sich gibt, ist nicht das, was seine Zuhörer eigentlich erfahren wollen. Jetzt, da er gewissermaßen entpflichtet ist von seiner Arbeit mit der Nationalmannschaft, könnte er doch endlich Einblick gewähren in den Fundus seiner ganz besonderen Kenntnisse und Einsichten. Schließlich war doch in den vergangenen vier Jahrzehnten keiner so lange und so intensiv den Stars so nahe wie er, hatte er, wenn man so will, von Präsidenten über die Trainer, andere Führungskräfte bis hin zu den Spielern aller Generationen den gesamten DFB „im Griff“.
Wie oft folgte ihrer Beschädigung die Berührung seiner Finger! Sie kamen, begaben sich in seine Hände und wenn sie aufstanden und gingen, fühlten sie sich besser. Unzähligen Spielern hat er dabei geholfen, wieder auf die Beine und in Schuss zu kommen. Er griff ein in das Innenleben der Stars und Superstars, knetete ihre Muskulatur, mobilisierte blockierte Gelenke, löste ihre Verspannungen – und streichelte dabei auch ihre Seelen.
Vier Jahrzehnte lang arbeitete Adolf Katzenmeier gewissermaßen im Allerheiligsten der Nationalmannschaft, wo auf dem Massagetisch selbst die Größten der Branche unter seinen „heilenden Händen“ ihre selbst auferlegte und mit oft merkwürdigen Ritualen und Regularien einhergehende Distanz aufgaben und sich ganz persönlich mit unverstellter Nähe offenbarten. „Die Spieler haben sich während der oft langen und intensiven Behandlungen ohne Scheu in totaler Offenheit mit mir oder über Handy mit ihren Partnerinnen und anderen Personen unterhalten, weil sie ein unendliches Vertrauen zu mir hatten und noch haben.“
Während Adolf Katzenmeier den Profis in vier Jahrzehnten also mit all seiner Kraft gab, was er kann, und die Aufmerksamkeit für ihre Prob - leme als Präsent dazu, ist er selbst ein Profi mit einem außergewöhnlichen Tastsinn für aus dem Gleichgewicht geratene Seelen geworden. Ein feingliedriger Profi und feinfühliger Intimus im Umgang mit Vertrautheit, dem freilich keine Geheimnisse zu entlocken sind. Adi ist verschwiegen, wie es sich für einen Beichtvater gehört.
Die intensive Beziehung zu seinen Fingern geht bei dem Mann, der in seiner Praxis stets im kurzärmeligen Trikot der Nationalmannschaft arbeitet, mit großer Präzision einher. So ist es kein Wunder, dass Adolf Katzenmeier seit Jahrzehnten auch in seiner Freizeit erstaunliche Fingerfertigkeit offenbart: als passionierter Klavierspieler, sei es auf dem nicht mehr ganz intakten Instrument in seinem Keller, sei es auf dem Nachfolgemodell, das ihm seine Frau und sein 32 Jahre alter Sohn Marcell vergangenes Jahr zum Geburtstag schenkten, oder sei es im jeweiligen Mannschaftshotel, falls sich die Gelegenheit ergibt.
Seine Hände, daran lässt Katzenmeier keinen Zweifel, sind sein Kapital. „Ich habe sie zwar nie versichern lassen, und jetzt ist dies wohl auch nicht mehr nötig mit 74 Jahren. Doch wann immer ich mal hingefallen bin, habe ich immer darauf geachtet, mich auf den Rücken abzudrehen, um nicht die Hände in Gefahr zu bringen“, sagt er. Diesen Händen gönnt er auch nach dem Abschied von der Nationalmannschaft keine Ruhe. „Solange der liebe Gott mir meine Kraft erhält, arbeite ich in meiner Praxis weiter. Die Hände sind ein Instrument, mit dem helfen muss, wer helfen kann“, lautet sein Lebensmotto.
Joachim Löw: „Auf seinem Fachgebiet verkörpert Adi die Kontinuität, welche die Nationalmannschaft über viele Jahrzehnte auszeichnet. Er war ein loyaler, verlässlicher und ehrlicher Weggefährte, ein Bindeglied zwischen den Trainern und den Spielern. Bei allen genießt er hohes Ansehen und große Anerkennung. Wir werden ihn bei den nächsten großen Turnieren vermissen, doch wir werden uns nicht aus den Augen verlieren. Schließlich arbeitet er ja weiter unter dem Dach des DFB in seiner Praxis am Frankfurter Stadion.“
Oliver Bierhoff: „Für mich als Nationalspieler war Adi eine echte Entdeckung, weil ich diese Intensität und Sorgfalt bei der Massage von Italien her nicht so gewohnt war. Wir von der Teamführung schätzen Adi wegen seiner Kompetenz, aber auch wegen seiner Hilfsbereitschaft und Freund lichkeit. Keiner weiß genau, bei wie vielen Län derspielen er dabei war, es waren bestimmt 300, vielleicht sogar 400. Doch er hat nie einen Sonderstatus beansprucht. Im Gegenteil, dem Adi war nichts zu viel. Ich wünsche ihm alles Gute und vor allem viel Gesund heit.“
Wolfgang Niersbach: „Adi ist ein Phänomen und im positivsten Sinn ein Faktotum zugleich. Seine große Beliebtheit basiert auf den zahllosen Anekdoten, die sich um ihn ranken. Ein Höhepunkt war immer, wenn die National mann - schaft in ein Hotel kam und dort ein Klavier stand, das sofort zur Herausforderung für seine flinken Finger wurde. Der Abschied tut weh, doch wir wollen ihm in seinem Alter die großen Belastungen speziell einer WM nicht mehr zumuten. Dank, Hochachtung und alle Komplimente für seine großen Verdienste.“
Franz Beckenbauer: „Adi war einer, der den Spielern, und nicht nur ihnen, Tag und Nacht selbstlos zur Verfügung stand. Ich kenne ihn seit 1965, und seit 1974 war er ja immer dabei. Als Spieler war er für mich schon sehr wichtig. Doch als Spieler bist du nur an dir selbst interessiert. Als ich Teamchef wurde, war er aber noch wichtiger für mich, weil es da um die Mannschaft ging, um die Stimmung und die Strömungen in ihr. Die medizinische Abteilung und speziell der Adi wussten und erfuhren alles, doch sie haben nie jemanden verraten.“